SMB_ZA, I/VAM 078, Allgemeiner Schriftwechsel A –D, 1934, Bl. 85-86
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Gemälde von Elisabeth A N D R A E in der Vorderasiatischen Abteilung im Vorderasiatischen Museum, Berlin.
In den kürzlich neu eröffneten Räumen der Vorderasiatischen Abteilung im Vorderasiatischen Museum, in denen die Ausgrabungsfunde von Warka (Uruk), Babylon und Assur beherbergt werden, sind an den oberen Wandhälften der übermäßig hohen Säle Gemälde angebracht, die besondere Beachtung verdienen. Der Schöpfer der neuen Museumsräume, Professor Andrae, der als Leiter der Ausgrabungen das Schicksal vieler Objekte von ihrem Fundort im fernen Lande bis zu ihrer Aufstellung in Berlin kennt, ging von der Überzeugung aus, daß ein wirkliches Verständnis dieser Kunst nur im Zusammenhang mit der Landschaft möglich ist. Er will daher durch große Gemälde wenigstens eine allgemeine Vorstellung von Lage und Atmosphäre der Grabungsstätte geben. Daß ihm dies in vollem Maße gelungen ist, verdankt er neben den Malern Walter K u r a u und Helmut K ö r b e r vor allem der Malerin Elisabeth A n d r a e, die mit bewunderungswürdigem Einfühlungstalent die schwierige Aufgabe meisterte. Als Vorlage standen der Künstlerin nur einige kleine Photographien und aquarellierte Skizzen, von Prof. Andrae selbst gefertigt zur Verfügung. Es galt nun, das den übermäßig großen Wandflächen angepasste Bildformat (das größte beträgt 3 zu 10 m) mit einer Komposition zu füllen, die einerseits perspektivisch überzeugend wirken sollte, zum anderen aber die Örtlichkeit in jeder Einzelheit getreu wiedergeben musste. Jede Veränderung zu Gunsten der künstlerischen Wirkung mußte abgelehnt werden: das archaeologische Auge Prof. Andraes wachte über die Arbeit. Eine weitere Schwierigkeit lag in der farbigen Gestaltung, denn hier waren die Künstler fast ganz auf ihre intuitive Vorstellungskraft angewiesen. Jahrelanges Interesse für Kunst und Kultur dieser Epoche und ernsthaftes Eingehen auf die Schilderungen der Ausgräber mögen Frl. Andrae dabei zur Hilfe gekommen sein, aber in er-
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ster Linie war sie durch ihre umfassende koloristische Begabung befähigt, jene Welt in ihrer geheimnisvollen Farbenharmonie hervorzuzaubern. (Daß Elisabeth Andrae fein beobachtete Naturstimmungen in vielfältig abgestimmten Farben vorzüglich wiederzugeben vermag, beweisen auch ihre sonstigen malerischen Werke, besonders Stilleben und Landschaften aus der Dresdner Umgebung, von denen die diesjährige Frühjahrsausstellung des Sächsischen Kunstvereins eine grössere Anzahl zeigte.)
Am überzeugendsten ist die Darstellung der großartigen Tempelruine von Eanna in Uruk. Die eigenartige Stiftfassade, von der ein Teil unter dem Gemälde aufgebaut ist, wird erst ganz lebendig, wenn wir auf dem Bild sehen, wie sie in Uruk mit dem Boden verwachsen ist, wie Luft und Sonnenlicht ihr wundernares (wunderbares, L.M.) Mosaik aus roten, weissen und schwarzen Tonstiften zur Wirkung bringen. Einen guten Begriff von der Großartigkeit eines ausgedehnten Ruinenfeldes geben die zwei Bilder vom Tempelplatz in Assur, am Ufer des Tigris gelegen. Gleichzeitig bekommen wir hier einen Einblick in die Arbeitsweise der Ausgräber, indem mit archaelogischer Genauigkeit Mauerreste und Grundrisse der zerstörten Gebäude wiedergegeben sind. Die dritte Grabungsstätte, Babylon, die wieder einen ganz anderen Charakter aufwies, wird uns in zwei stimmungsvollen Bildern von Walter Kurau vorgeführt. Das Ischtar-Tor mit seinem schönen Tierdekor, von dem Prof. Andrae einige Stücke rekonstruieren und in der Sammlung aufstellen konnte, malte wiederum Elisabeth Andrae. Auch hier ist es der Künstlerin gelungen, die getreue Wiedergabe der vorhandenen Ruine mit der großzügigen malerischen Auffassung zu verbinden.
gez. Kunze.